Liebes Tagebuch,
ich weiß nicht, wie es noch schlimmer kommen könnte. Auch wenn ich mich nicht an die Zeit erinnern kann, wo Papa noch bei uns gewohnt hat, glaube ich, dass es damals besser war. Er ist einfach viel lockerer, viel entspannter als Mama. Lex erzählt immer, dass er mit Papa besser klarkommt, seit er ausgezogen ist, Papa meine ich. Ist doch Quatsch. Das ist fünfzehn Jahre her und da war er doch auch erst sechs oder so. Max meint, Papa wäre schon immer komisch gewesen oder so. Was weiß ich, was Max meint. Der macht mich immer echt sauer. Er ist eher wie Mama, nur irgendwie chaotischer. Und lieber. Bei Papa hat er es drei Monate ausgehalten, jetzt will er zurück. Nun macht Mama Probleme. Mama hat einfach so einen Stolz, sagt Papa. Sie muss einfach immer alles bestimmen, sage ich! Papa hatte Max ja gewarnt, dass es leichter ist, sich von Mama zu trennen als zu ihr zurückzukommen, und dass er es sich genau überlegen soll, ob er ausziehen möchte, Max meine ich.
Lex macht das richtig. Er schläft und isst zuhause bei Mama und hängt bei Papa ab. Er nennt es „Trennung von Arbeit und Freizeit“. So mache ich es ja eigentlich auch. Ist aber irgendwie doof so. Na ja.
Muss man seinem Tagebuch eigentlich alles erklären, Leute vorstellen und so? Anne Frank hat ihrem Tagebuch einen Namen gegeben. Mir fällt kein guter ein. Papa hat beim Packen meine alte Puppe gefunden, die ich wohl immer Lala genannt habe. Er packt, weil er bald umzieht. Ich hatte Lala voll vergessen.
Früher wollte ich immer eine kleine Schwester haben. Max und Lex streiten sich zwar oft, sie sind aber auch irgendwie Verbündete. Papa nennt sie immer seine „Chorknaben“, weil sie beide im Knabenchor singen. Und weil sie immer so brav sind. Das meint er nicht so ernst.
Mama ist auch in einem großen Chor. Wenn Papa und ich uns über die drei unterhalten, nennt er sie den „Chor der Älteren“. Das soll ich aber für mich behalten (Verschwörung!). In mein Tagebuch kann ich das aber wohl schreiben.