Jetzt kein Licht anmachen. Ich rolle mich vom Bett, gehe in den Flur. Luft holen; atmen.
Alles dunkel. Ich weiß, wo ich bin.
Ich trete ins Badezimmer und taste vertraut über dem Waschbecken nach dem Spiegel, den ich nicht sehe, weil ich das Licht nicht angemacht habe.
Die Kälte der Spiegelfläche an meiner Hand ersetzt mir meine Reflexion. Ich weiß, wo ich bin.
Ich will jetzt nicht die Schminke sehen, die Pillenpackung, und die zweite Zahnbürste, die zwei Handtücher. Zuviel Gewissheit. Nie in meinem Erwachsenenleben habe ich mein Badezimmer nicht geteilt. Wie machen das die anderen?
Als Kind habe ich oft gespielt, ich sei blind. Ich schloss die Augen, band sie mir manchmal sogar zu, und tastete mich durch das Haus, wenn ich allein war. Stundenlang, wenn meine Eltern nicht zuhause waren. Allein.
Beide tot.
Ich setze mich auf den Wannenrand und heule vornübergebeugt ins Nichts. Im Dunkeln. Ein Kind.
Sie ist wach. Es gibt sie. Ich höre ihre Schritte. Sie räuspert sich verschlafen. Ihre nackten Füße auf dem Parkett im Flur. Ihr Tasten. Zögerlich. Auch sie lässt das Licht aus. Sie hat mich gehört. Ich strecke meine Hand nach ihr aus.
„Ich will ein Kind haben. Wirklich“, sagt sie, während sie sich an mich schmiegt, nackt und weich, warm und wohlriechend. Verlässlich, fast diskret. Ich liebe sie.
„Ich weiß“, seufze ich. Ich bin doch selbst noch ein Kind. Im Dunkeln. „Ich weiß“, wiederhole ich fast stumm. Meine Stirn kippt auf ihre Brust. Nichts weiß ich.
„Ich liebe dich“, atmet sie mir ins Ohr. Ich höre ihr Lächeln. Sie liebt mich.
„Ich weiß“, lächle ich zurück. Ich liebe sie.
Ich weiß, wo ich bin.