Dass sich unter den alten Bettlaken und -bezügen noch ein Schuhkarton befand, hatte ich vergessen. Wann hatte ich ihn dort reingestellt? Der jüngste Brief war von meinem zwanzigsten Geburtstag, oder kurz danach. Ich kann mich an die Einsamkeit nicht erinnern. So viel Einsamkeit. Briefe an mich selbst, sozusagen. Vierundzwanzig Stück. Drei undatiert. Zwei angefangene Tagebücher, die eher Essay-Sammlungen sind.
Siebzehn war ich da. Katja hatte mit mir schlussgemacht, und ich fing ein neues an, nach nur neun Einträgen. Irgendwie symbolisch. Wir hatten gleichzeitig angefangen, Tagebuch zu führen, und hatten die Hefte zusammen gekauft. Im Viererpack; jeder zwei. Den Laden gibt es noch. Aber die Hefte gefielen mir nie, und ich fing an, das unlinierte Briefpapier zu benutzen, das ich von Omi zur Konfirmation geschenkt bekommen hatte. Der Karton ist auch von Omi. Gerade ein bisschen über DIN-A-4-Größe. Stiefel. Die schwarzen, gefütterten Winterstiefel von Omi.
Omi fehlt mir.
Katja und ich lasen uns gegenseitig unsere Tagebücher vor. Ich hatte schon vorher eines geführt, aber das ist, glaube ich, hier nicht dabei. Nein. Ich glaube, ich habe es weggeschmissen, als ich keine Ausrede erfinden wollte, warum ich es ihr nicht vorlas. Ihres hatte sie mir vorgelesen. So fing das an.
Diese Art von schlechtem Gewissen brachte uns wohl auseinander, ein Jahr später.
Nein, nur zehn Monate. Februar bis November ging das.
Der Sex, unser beider erster, im Sommer, käme an die Intimität der Tagebuchoffenbarungen nicht heran, wollten wir uns einreden. Aber das stimmte nicht. Darauf waren wir nicht vorbereitet gewesen.
Denn irgendwann hatten wir natürlich angefangen, die Tagebücher nur für den anderen zu führen.
Und ich fing an, parallel auf dem Briefpapier zu schreiben.
Für wen habe ich dann das zweite Heft angefangen? Ich weiß es nicht. Katja war nie in dieser Wohnung.