131. – 2 bier

mein flüchtiger blick folgt
beleidigt, betrogen
der fortfliegenden taube
die ich gerade noch zu treten geneigt war

sie gesellt sich nun
zu ihresgleichen
an einem vorsprung
überm zweiten stock
an der bröckelnden fassade

zusammen schauen sie scheißend
auf mich herab
und gurren
über mich
nur schlechtes

mein lächelnder gruß
stößt zu recht
auf taube ohren
das gurren hallt in meinem hirn

Gestern sprach mich eine junge Frau an, als ich die Automatenfiliale meiner Bank betreten wollte. Es war Nacht, sie war blass. Ich trug meinen neuen Kapuzenpulli, dessen schwarz noch nicht verwaschen war. Ich zog die Hörer aus meinem Ohr, und sie wiederholte: Sie bräuchte Geld, ob ich Kleingeld hätte, fünfzig Cent würden reichen. Ich verneinte, denn ich hatte am Vormittag mein restliches Bargeld für eben die Ohrhörer ausgegeben, die nun tönend auf meinem neuen Pullover baumelten. Sie fragte darauf dezent drängelnd, ob ich nicht einfach etwas wechseln könnte, nachdem ich das Geld geholt hätte. Sie lächelte nicht. Sie war sehr blass. Und sehr unruhig, wirkte ängstlich, zitterte. Ich meinte, das ginge; ich habe mir eh beim Spätkauf noch ein Bier für den Feierabend kaufen wollen. Sie blieb vor der Tür, obwohl es regnete, während ich meine Bargeldreserven am Automaten auffüllte. Ich kam raus, und sie fror. Ich zeigte auf den Laden, der nur ein paar Häuser weiter war. Ich fragte sie, ob sonst alles in Ordnung sei. Bescheuert. Sie bejahte. Sie schämte sich nicht sichtlich aber spürbar. Ich hasste mich. Im Laden holte ich mir hastig zwei Bier, die ich gar nicht brauchte, überteuert, wie immer in Läden, die außerhalb regulärer Öffnungszeiten verkaufen. Sie wartete draußen. Wie eine Komplizin. Ich zahlte zweivierzig, kam raus und sie fror; nicht wieder gutzumachen, meine Frage. Ich kannte sie nicht gut genug, um mich entschuldigen zu können. Ich kannte sie gar nicht. Ich gab ihr zwei Euro. Kurzer Augenkontakt. Sie war wirklich dankbar. Aber nicht zur Freude fähig. Sie brauchte das Geld. Ich wünschte ihr alles Gute.

Marvin Gay singt Inner City Blues aus neuen Ohrhörern auf neuem Kapuzenpulli. Kein Bock auf fatalistisches Getue. Ich mach das Ding aus. Ich kauere mich an den Straßenrand, lausche lieber der Straße und lasse mir eins der Biere von einem vorbeikommenden Bruder mit dem Feuerzeug öffnen (konnte ich selbst nie; rauche auch gar nicht). Ich ziehe den Pullover aus und lasse die Nacht auf meinen entblößten Oberkörper herabregnen. Und proste den Tauben zu, die an mir vorübergehen. Dass sich Tränen mit Regen mischen, habe ich zu oft gehört, als dass ich es jetzt poetisch finden könnte. Ich wisch’ sie mir mit dem Pullover fort. Und singe. Das zweite Bier verschenke ich. Magst du es haben?

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