155. – Halb zwölf

George war der Streit vorhin peinlich. (Sein Zimmer ist neben der Küche.) Er hat zwar nur die Hälfte verstanden, sagt er, aber er glaubt, dass es Mama nicht gut geht und sie es nicht zugeben will. Er ist ganz ohne Vater aufgewachsen und findet es schön, dass ich mich mit Papa so gut verstehe. Richtig viel reden wollte er darüber aber nicht. Ich will ja eh noch ein bisschen mehr schreiben.

Also, das mit „Liebe Lala“ geht gar nicht. Das ist mir zu Tele-Tubby-mäßig. Papa meint, ich konnte damals noch nicht so gut sprechen, und hätte Leila auch „Lala“ genannt. Leila hat erst im selben Haus und dann in Papas Wohnung gewohnt. Irgendwann meinte Papa wohl, ich sollte Lala lieber nicht mehr mit zu Mama nach Hause nehmen. Ich erinnere mich daran gar nicht richtig. Na ja …

In meiner Schule heißt jedes zweite Mädchen Lara (eine heißt Lara Kraft. Echt wahr!), vielleicht ist das besser … also …

Liebe Lara!

Also, wenn ich meine Familie vorstellen müsste, würde ich mit meinen Brüdern anfangen: Lex ist 21 und studiert fleißig. Er war immer Klassenbester und hatte nach dem Abi Mama zu Liebe angefangen, Jura zu studieren. Er hatte eh noch keinen Platz für sein Gesangsstudium bekommen und er wusste, Mama würde „eine Künstlerkarriere nicht gutheißen“, wie er sich auszudrücken pflegt. So hatte sie wenigstens eine Schonfrist. Und wenn er wirklich Heldentenor wird und Wagner singt, freut sie sich auch. Auf die Weise macht er Papa ja auch glücklich. Lex ist der ewige Diplomat. Er nennt es „den Weg der Mitte“. Außerdem meint er, es wäre nicht gerade optimal, Jura zu studieren, wenn man Lex genannt wird. Natürlich heißt er eigentlich Alexander. Früher haben wir ihn Lexi genannt. Auch weil er ein wandelndes Lexikon war. Er war früher echt rechthaberisch. Er wäre ein guter Anwalt geworden, sagt Papa („argumenti, argumenta“).
Max ist genau so („aber ganz anders“, wie Papa sagt). Er versucht immer, Lex zu übertreffen. Papa nannte beide immer liebevoll „Klugscheißer“, und meinte, das hätten sie von Mama (daher Chor der Älteren) und nicht von ihm. Von wegen.

Max heißt eigentlich Maximilian, ist, wie gesagt, 18 und sitzt noch am Abitur. Max ist eher klug als fleißig. Er ist lustiger als Lex. Max labert nicht so viel, aber er kann echt super Witze erzählen. (Lex versaut jeden Witz. Wenn Lex sagt: „Kennt ihr den …?“, rufen immer alle: „JA!“, auch wenn es nicht stimmt.) Da sind sie echt ein gutes Team: Lex denkt sich Witze aus, und Max erzählt sie. Jedenfalls war das früher so. Max kann zeichnen, singen, Gitarre spielen und Schlagzeug. Lex schreibt eher, lässt aber (außer mir neulich) niemanden seine Gedichte lesen. Ich habe nicht alles verstanden. Ich glaube aber, sie sind gut.

Zurück zu Max. (Wenn man ihn mit Lex vergleicht, rastet er immer gleich aus. Papa sagt, er sei halt das mittlere Kind. Mama sagt das auch.) Max ist mehr wie Mama. Er redet zwar nicht so viel wie sie, aber bei der Lautstärke nehmen sie sich nichts. Ihn muss man einfach lieb haben, „den Charmeur“, sagt Papa. Hanna war mit ihm in einer Klasse und meint, die Mädchen mögen ihn alle. Lex finden die Mädchen auch alle toll, aber eher, weil er so hübsch ist (sagt Hanna und behauptet, sie wäre nicht in ihn verknallt). Ups, schon wieder verglichen.

Hanna gehört zwar nicht zur Familie, aber sie ist meine beste Freundin und ich schreibe jetzt von ihr, weil ich sie ja nun schon erwähnt habe. Sie heißt eigentlich Johanna, so wie ich ja eigentlich Annette heiße. Ihre Mutter, Susanne, war mal mit Papa zusammen (so vor über zwanzig Jahren) und wir waren früher immer zusammen auf dem Spielplatz. Ihr Papa ist auch ausgezogen, als Hanna noch klein war. Sie ist Einzelkind (Neid!) und die kleinste 16-Jährige, die man sich vorstellen kann. Ich werde erst nächste Woche 16. Zurzeit ist sie auf einem Austauschjahr in den Staaten.

Papa heißt mit vollem Namen Siegfried Georg Althenburg. Er ist Musiker und Schriftsteller und ist 45 Jahre alt. Früher war er Erzieher oder so. Seine Frau heißt Leila und ist jetzt Pfarrerin. Also ist er der „Gatte der Pfarrerin“, wie er sagt. Er hatte mal unseren Nachnamen, den Namen von Mama, hat nach der Scheidung aber wieder seinen Geburtsnamen angenommen. Papa wird Fritz genannt, ich weiß nicht so genau warum. Er meint, außer seiner Mutter hätte ihn ewig niemand Siggi genannt und ihm war das immer recht so. Opi, also sein Vater, hieß aber wirklich Friedrich. Der ist letztes Jahr gestorben (zwei Tage vor meiner Konfirmation!). Papas Eltern haben sich scheiden lassen, als er noch klein war und er ist auch bei seiner Mama aufgewachsen. Er nannte sie aber nicht „Mama“, sondern „Mutti“. Sie ist gestorben, als ich noch klein war. Ich kenne sie gar nicht. Aber sie war bei meiner Geburt dabei. Sie hieß Kathrin mit H. (Oma, also Mamas Mutter, heißt Katrin ohne H. Deswegen ist das auch mein zweiter Vorname, aber mit H – da hat Papa sich wohl durchgesetzt). Lex erzählte mir neulich, dass wir Papas Mutter immer „Omi“ genannt hätten. Jedenfalls haben wir seinen Papa „Opi“ genannt. Das passt irgendwie: „Omi und Opi“. („Oma und Opa“ sind Mamas Eltern.) Papa nannte Opi immer gerne den „alten Fritz“. Dafür nannte Opi Papa immer „Junior“ und sich selbst den „alten Krüppel“. (Weil er nur ein Bein hatte und im Rollstuhl saß.) „Na, kommt ihr den alten Krüppel wieder besuchen?“, und so … (Er hatte einen ziemlich derben Humor.) Na ja.

Ich habe Hunger und gehe jetzt was kochen.

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