116. – Indizien

Ich beneide Leute, die
– mit ironischerweise
geradezu religiösem Eifer – meinen,
mit Argumenten der Vernunft
zwischen Wahn und Wahrheit
unterscheiden zu können.

Nein, nicht wahr: Mir graut’s vor ihnen.

Rückständigkeit in arrogant-gefühltem Fortschritt.
Halbbildung. Halb-Bildung.
Gedankenfrühgeburten,
künstlich beatmet mit
Minimalkonsens.

Haben sie nie gehört
vom Unterschied
zwischen Vernunft und Erfahrung?
Zwischen Ideal und Empirie?
Zwischen Festland und Insel?
Hatte diese Erkenntnis nicht das Mittelalter beendet?
Sind wir alle wieder Objekte, Regelausführende?
Einsamkeitsmaschinen? Beherrschte?
Zu Beherrschende?

Ratio-Kitsch!

Man verwechselt
das Modell mit dem Bild,
die Floskel mit
der Wahrheit,
jener, die verborgen steckt in allem
und in nichts.
Das, wonach zu suchen ist.

    Dies
        ist
          k-eine
           Pfei-
            fe.

 

Es gibt keine eine Wahrheit;
es gibt Wirklichkeiten,
so viele, wie man hören möchte.
Jedes Sandkorn hat eine Geschichte zu erzählen, hat eine Seele.
Und jeder Quantensprung darf mir einen Tanz wert sein.

Ob Gott tot sei,
vorher gelebt haben müsse,
ach, ich meine
natürlich existiert,
na, dann müsse es Ihn doch
gegeben haben, wenn auch in der
Vergangenheit, und wer Ihn dann
geschaffen hätte, und wo Er hin sei, und
warum, und warum ich Ihn großschreibe,
erzähle ich in einer anderen Geschichte,
meiner Geschichte.

Denn Geschichte ist immer
Rekonstruktion, Wiederherstellung
von Verlorenem,
von Nichtmehrgewusstem,
von Angenommenem.

Mir könnte es nur ums Annehmen gehen.

»Ich erkenne mich
auf alten Fotos
nicht wieder, aber
ich glaube

denen, die mir sagen,
das sei ich
– gewesen.«

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