10. – Fremde

Cocktail-Party im Sitzen. Ohne Schuhe.
Weltverbessernder Smalltalk allenthalben.

Sie erhebt sich.

Sie. Fremde. Vertraute. Mutter. Göttin. Geliebte. Mein.

Die Fremde erhob sich üppig aus der engen Menge. Barfüßig. Leichten, wiegenden Schrittes, ging sie ins Schlafzimmer, das zur Garderobe umgestaltet worden war.
Ich folgte ihr. Zunächst nur mit Blicken. Schon gefesselt. Unhöflich das Gespräch abbrechend.

Sie tritt in den Flur.

Als sie wieder in den halbdunklen Flur trat, um zu gehen, Jacke im Arm, war ich dort erst angekommen. Sie bot polternd ihren Ausschnitt dar, Trunkenheit als Vorwand, als sie sich ihren linken Schuh über die Ferse zog.
Ihre schwarzen Augen schossen nach oben, direkt in meinen Puls, ihn nie wieder loslassend.

Sie stellt sich vor den Spiegel.

Sie. Fremde. Vertraute. Mutter. Göttin. Geliebte. Mein.

Sie trat vor den Spiegel, nun meiner gewiss, und löste den Knoten, der ihre dunklen vollen Locken hoch und den Blick frei auf ihren Hals gehalten hatte. Als sie meine Enttäuschung im Spiegel bemerkte, lachte sie zunächst; doch das Lächeln sanft fallen lassend, hob sie ihre Haare mit der Hand der mir abgewandten Seite, und neigte ihr Haupt.
Eine Einladung. Eine Aufforderung. Ein Tanz.

Drei Schritte, die den Boden nicht berühren.

Meine Stirn an ihrem Nacken, atmete ich meinen Namen in ihren Rücken. Wir lachten. Unsre tiefen Atemzüge.
Ein. Aus. Ein.
Ihr Name sei ein Geschenk, das ich vorerst nicht auspacken dürfe, stieß die fremde Stimme endlich aus, eine Träne in ihrem tief dunklen Auge.

Hell gleißendes Licht.

Das Flurlicht ging an. Um uns verließ man lärmend das Fest.

Geblendet, half ich ihr in die Jacke; sie richtete ihr Haar, steckte es wieder hoch, während ich meine Schuhe anzog.
Wir warteten, verlegen, bis im Treppenhaus das indiskrete Getrampel verhallte.

So blieben wir ungestört in unserem taumelnden Untergang, ungewiss, ob wir unter Sternen den unterbrochenen Tanz würden fortsetzen dürfen.

weiter

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