28. – Gott und die Welt (Interludium)

Gott trat aus Gabis Kneipe, nachdem er, in den Augen der Einheimischen, der Sterblichen (Mensch, sind die sterblich, überlegte er), dort sechs Tage zugebracht hatte, rauchend in einer Nichtraucherkneipe. Er berührte kurz liebevoll das Schild neben der Tür. »Samstags Ruhetag«, ein Zeugnis von Gabis Eigenwilligkeit. So war sie schon immer gewesen. Das mochte er an ihr. Die anderen in der Kneipe waren ihm »Schnuppe«, aber die gehörten nunmal zum Gefüge »von das Ganze«. Berlinern fand er auch gut, überhaupt Mundart.
Gott mochte zwar seine göttliche Ordnung, nahm es aber damit nicht mehr so genau.

Wenn die Kinder nicht hören wollen.

Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Rasieren. Das hatte er noch nicht probiert. Er war jetzt schon sechs Tage ein »betagter« Mann, wie man hier so sagte, und hatte noch keine rechte Gelegenheit, das auch mal zu erproben. Rasieren. Aber nun war ihm nicht danach, und er gab sich einfach den Anschein eines Jünglings, während er die Straße in Richtung Kanal ging, zur nächsten Kneipe. Es guckte gerade keiner, und dunkel war es eh schon. Gott mochte die Sonne, und überlegte kurz, es Tag werden zu lassen, ließ es dann aber aus Rücksicht sein.

Die kommen damit hier nicht klar. Komisches Jahrtausend, eigentlich. Sehen alles so relativ, aber wenn’s Hart auf Hart kommt, muss es gleich absolut sein. Regeln und Allmacht, und so.

Gott ging an einem Schaufenster vorbei, und seine Reflexion fehlte, was er gleich korrigierte. Er wollte ja nicht für einen Vampir gehalten werden.
Es war Montagnacht, also die Nacht von Montag zu Dienstag. Und es war nach Mitternacht, also eigentlich schon Dienstag, aber die meisten Kneipen hatten trotzdem zu. Ruhetag, obwohl es Nacht war.

Ach nee, Jüngling ist ja ganz ungünstig.

Gott wollte zwar provozieren, aber Jünglinge gehörten jetzt ins Bett.

Also Frau. Frau ist gut.

Kurz ein Blick ins nächste Schaufenster.

Jupp. Frau. So geht das. Sieht auch gut aus, die Kleine.

Er merkte, dass er den Mann noch nicht ganz abgeschüttelt hatte – mit den »sündigen« Gedanken, und so – und den Rausch vom »Sechstagesaufen«, wie Bodo dazu gesagt hätte, noch nicht abgelegt hatte, und beschloss auch gleich, ihn noch ein bisschen beizubehalten. Nur gerade soviel, dass er nicht torkelte.

Würde ist wichtig.
Tja, wohin nun? Kreuzberg in der Nacht. Kreuz …
Kreuzberger Nächte sind lang. Kreuzberger Nächte sind lang. Erst fangse janz langsam an. Aber dann … Aber dann …

Da würde er morgen hingehen, wusste er, und verwarf den Gedanken, einfach die Nacht zu verkürzen, oder zu beschleunigen. Eine Frage der Geduld, und auch Zeit war hier relativ. Gott pflegte großen Respekt vor Relativität.

Respekt ist wichtig.
Kreuzberg. Kreuz. Ganz nett. Heißt aber nur so wegen eines »gewonnenen« Krieges.

Gott musste kurz an Jesus denken, seinen Sohn. Und an Krieg.

Scheißsterblichkeit. Mensch, sag mal, heul’ ich etwa?

Er fasste sich an die Wange. Eine Träne. Vielleicht hatte er es damals zu weit getrieben, überlegte er. Vielleicht waren sie damals nicht so weit gewesen. Vielleicht waren sie es immer noch nicht. Ach, was …

Eine Träne. Frauen. Wahnsinn. Toll.

Gott stand an der Kreuzung. Eine Frau. Trotzdem irgendwie noch sexistisch.

Ich könnte jetzt hier weiterheulen, und alles geht unter …
Gabi würde ich retten …
Au ja, zum Engelbecken. Das klingt doch gut.
Jetzt läuft auch noch die Nase. Schnauben ist auch toll. Und Niesen erst. Ach, die Menschen; man muss sie lieben.

Gott machte sich auf zum »Engelbecken«; aber dann sah Gott eine beleuchtete Kneipe. Vielmehr roch er sie. Er wurde ihrer gewahr. Wie auch immer. Dort wurde geraucht. »Nur für Raucher«, stand sogar an der Tür.

Humor ist auch toll.
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Gott war jetzt hochschwanger und beschloss, in die Raucherkneipe einzukehren, um sich dort auszuruhen. Und eventuell seine Fruchtblase platzen zu lassen.

Je nachdem, wie die sich da benehmen.

Aber eigentlich wusste Gott natürlich, wie die Geschichte ausgehen würde.

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