An der Regalwand war unten links ein rundes Stück rausgesägt, dort, wo sie sich einmal nachts den kleinen Zeh gebrochen hatte. Sonst sei sie aber nicht nachtragend, sagte sie, auf dem linken Bein stehend, das rechte in der Luft.
Als hätte ich sie nie gekannt.
Die ganze Wohnung war organisch auf diese Art. Zu jedem Gegenstand, jedem »Stück«, hatte sie etwas zu erzählen. Kreisrunde Topflappen aus Skandinavien, die sie wie Bierdeckel benutzt. Orangene Tücher aus Indien anstelle von Gardinen, die mir schon vor der Tür aufgefallen waren. Der dazu passende Curry-Geruch in der ganzen Wohnung.
Sie bezeichnete sich als Künstlerin oder genauer: als Sammlerin.
Ich fragte mich kurz selbst, aber dann sie, ob ich auch eines ihrer Objekte sei.
»Du bist meine bedeutendste Errungenschaft, my darling.«
»Die neueste«, parierte ich.
»Genau.« Sie griff mir ans Kinn. Kussmund. »Das ist ein und dasselbe, meinst du?«
»One and the same. Eine Seite in deinem Tagebuch.«
»›Another page in my diary‹? Nein«, kokettierte sie, »mindestens zwei.« Sie griff meine Hände, und wir drehten uns tanzend im Kreis. »Für dich mache ich ein neues auf!« Und sie meinte es. Und ich glaubte ihr nicht.
Meine Verfügbarkeit war mein Plus, meine Ungebundenheit. Ich machte mir nichts vor. Diese intelligente, schöne Frau wollte etwas von mir. Für eine Nacht, vielleicht mehrere. Ich war noch meiner Faszination erlegen, und wollte sie ganz – und für immer. Für mich nicht denkbar, dass ich ihr mehr wert sei, als die Jungs, die ich sie hatte verspeisen sehen. Ich fühlte mich ihr unterlegen. Nicht wegen des Alters; zwischen uns lagen lediglich acht oder neun Jahre. Sie besaß alle Macht der Welt, mich zu manipulieren.
Bei dem Wein vorher hatte sie mir erklärt, sie habe sich geändert, sie suche Bindung. Meine Reaktion darauf war unangemessen ironisch gewesen. Ich hatte an ihrer Reaktion gemerkt, dass ich mich im Ton vergriffen hatte, und mich aufrichtig entschuldigt. Sie glaubte, was sie sagte. Aber ich war nicht überzeugt. Und doch hatte ich mich von ihr in ihre Wohnung einladen lassen, in der ich seit über acht Jahren nicht gewesen war. In dieser Wohnung war nichts alt, nichts so alt wie ich.
Bald würde sie mich um Verzeihung bitten. Und ich würde ihr schon längst verziehen haben.
Ich wusste nicht, ob ich es sein würde, der sie diesmal verlässt.
Kann man Menschen zweimal verändern?