(Eins)
Husten. Und immer wieder dieses Geräusch, das Lego-Steine machen, wenn sie aufeinanderprallen; so zwischen Keramik- und Plastik-Rascheln. Das Geräusch kenne ich aus meiner Kindheit und denke erst, dass es Teil meines Traumes sei, aber dann wieder: sein trockenes Husten.
Ich drehe mich um und ertappe ihn im Spiegel auf allen Vieren krabbelnd. Ihn, den Vater. Er hebt die Lego-Steine, fast einzeln, vom Kinderzimmerboden auf und wirft sie liebevoll, zügig nacheinander in den Eimer. Er fährt mit der Handfläche über den Teppichboden. Sein Husten kommt von dem Staub, der sich in den letzten Wochen in den Fasern gesammelt hat, und nun, aufgewirbelt, seine Atemwege reizt. Morgen würden die Kinder kommen, und er musste jetzt wirklich endlich mal hier staubsaugen. Lego-Steine, gerade die kleinen, werden aber so schnell mit aufgesaugt. Und er hat mal wieder bis zum letzten Augenblick gewartet. Er hasst es, »das Gebaute«, wie die Kinder zu ihren Werken sagen, wegzuräumen.
Er räuspert sich.
Sie sind immer ein bisschen enttäuscht, wenn sie es nicht so vorfinden, wie sie es verlassen haben. Außerdem hatte er schon vorm letzten Mal nicht richtig gründlich gesaugt.
Er entschuldigt sich; er habe mich nicht wecken wollen.
»Ich weiß. Das hast du auch nicht«, beruhige ich ihn, und drehe mich wieder um. Und höre bald das pfeifend-ziehende, gelegentlich metallisch-schlürfende Geräusch des Staubsaugers, das ich schon als Kind nicht mochte.
Und ich versuche, nicht zu husten – und nicht zu erwachen.
(Zwei)
An der Brücke halten wir inne, und unser Atem beruhigt sich; doch liegt uns etwas auf der Brust, eine reißende Unruhe, ein zerrendes Unbehagen – und die Knie zittern.
Wie soll unser Abschied sein? Er steht bevor, ist lange vorbereitet.
Am Besten, einer von uns bliebe einfach hier zurück, ginge nicht mit weiter. Wir wissen das.
Gleich hier? Wo auch sonst? Warum zögern? Die symbolische Kraft der Brücke sei nutzbar zu machen, finde ich. Übergang.
Doch wir können uns nicht entscheiden, wer bleiben darf. Sich zu trennen erscheint immer wieder ungeheuerlich. Dies ist nicht unser erster Versuch.
Unser Puls rast. Wir gehen hin und her. Im Grunde klar, wer zu bleiben hat, und wer weitergeht. Ohne seine pragmatische Rücksichtslosigkeit würde ich kaum überlebensfähig sein, doch ich will einfach keinen Anteil mehr daran haben, lieber idealistisch scheitern. Dennoch: Abschiede, das kann er besser. Schon vor mir. Einfach weiter machen. Trotz allem. Ohne den anderen.
Dann endlich mein Einfall: Die Brücke nutzen. Er solle am Ufer entlang gehen, von der Brücke weg, während ich sie überquere zum anderen Ufer hin, und weiter gehe, weg vom Fluss. Egal, auf welchem Weg wir gemeinsam hierher gekommen sind, diese Brücke wird uns helfen, getrennt voran zu kommen.
Doch er meint, wir sollten es lieber umgekehrt machen. Er sei doch eher der Überschreiter, lügt er, während ich doch eher das sichere Ufer bevorzugen würde. Ich zögere zunächst und stimme ihm doch schließlich zu. Ich durchschaue sein Anliegen, sein Opfer.
Ich ziehe meine Schuhe aus.
Ohne Abschied, ohne zurückzuschauen, gehe ich zwischen Böschung und Wasser flussabwärts, so schnell ich kann, ohne zu rennen.
Als ich das Auftreffen eines Körpers in den Fluss höre, drehe ich mich um, trete ins kühle Wasser und vergewissere mich, dass nicht ich gesprungen bin, dass nicht alles wieder von vorne anfängt. Doch ich sehe nichts. Wellen schlagen mir an die Waden. Und ich begreife, lächle – und springe.
Diese Geschichte, besonders „eins“ ist wieder einmal in meinen Augen ein Meisterwerk.
Ein prosaisches Poem, poetische Prosa.
Ich kann es wieder und wieder lesen und entdecke immer wieder neue Tiefen und/oder Höhen.
LG Hanna