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Ich lese ein Buch über Völkermord, also über das, was verbreiteterweise nachwievor irreführender- und selbsterfüllenderweise als Völkermord („Genozid“) bezeichnet wird. Die Sprache des TäterIn-Opfer-Schemas relativiert immer das konkrete Leid der Geschädigten zugunsten der Schädigenden. (Das Buch selbst gebraucht den Begriff „Extrem gewalttätige Gesellschaften“. Das ist auch der Titel der deutschen Ausgabe.) Völkermord ist einfach Massenmord, sage ich schon seit Langem, häufig von Massen begangen oder toleriert, und ich freue mich, endlich etwas Fachliches dazu gefunden zu haben.
Ethnien werden nicht selten „von oben“ definiert, insbesondere dann, wenn Staaten sich entlang ethnischer Grenzen definieren.
Interessant wird dann die Frage, warum „man“ „unten“, im Volk, also als regierte Masse diese Definitionen übernimmt. (Hutu und Tutsi: Der Besitz von weniger oder mehr als zehn Rindern bestimmte, wer vorm Kolonisator für wen sprechen durfte. Siehe Wikipedia-Artikel) Logisch: Der Anspruch, der entsteht, die Legitimierung von Herrschaft über Andere. Vorteil. Aber auch, deutlicher defizitär ausgedrückt: Die Unfähigkeit, sich vor dem Oppressor für Mitglieder des Bevölkerungsteils stark zu machen, dem man sich nicht angehörig fühlt. Entsolidarisierung.
Der Wiki-Artikel zu kultureller Identität umschreibt sehr geschickt die Reflexionsebenen, die für diesbezügliche Diskurse zur Verfügung stehen.
Erschreckend ist für mich, dass man wohl schon innerhalb weniger Generationen ein recht offensichtlich machtpragmatisches Konstrukt (Teile und Herrsche) dem Untertanentum als „naturgegeben“ verkaufen kann. Heute noch geltende Gründungsmythen sind teilweise nicht alt. Die meisten entstanden erst im 19. Jahrhundert und sind nachwievor Teil unseres Mainstream-Geschichtsverständnisses. Im Grunde wurden viele Völker schlicht erfunden; es gibt kaum archäologische Spuren, jedenfalls nicht in dem Maße wie ihre Gründungs-Legenden es vermuten ließen (Varusschlacht, Amselfeld, Zion, …)
Im Film „Hannah Ahrendt“ bezichtigt sich Frau Ahrendt selbst, sie habe sich nie imstande gesehen, ein Volk zu lieben. Als wäre das irgendwie ein Manko. Auch sie ließ sich hier verunsichern.
Wir seien demnächst nicht mehr Papst, höre ich gerade. Ich war eh nie katholisch. Und deutsch bin ich, weil ich hier geboren und bisher nicht weggezogen bin. Ich beherrsche die hiesige Sprache ganz gut; das verbindet. Es verbindet mich mit euch.
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